3 Historische Entwicklung
Im Folgenden betrachten wir die historische Entwicklung des Datenbankherstellerrechts und die Grenzen, die sich daraus ergeben. Wir schließen mit einem Fazit aus einem Vierteljahrhundert Datenbankherstellerrecht.
3.1 Europäischer Alleingang
In den USA entschied der Supreme Court im Jahr 1991 letztinstanzlich, dass ein traditionelles, auf Vollständigkeit angelegtes und alphabetisch sortiertes Telefonbuch (auf Papier) keinerlei Individualität aufweist. Damit besteht in den USA (wie auch in der EU) kein urheberrechtlicher Schutz für diese (damals durchaus wertvollen) Datensammlungen. In der Folge konnte eine regionale Telefongesellschaft nicht verbieten, dass ein Verlag ihr Telefonbuch ohne Zustimmung mit weiteren Informationen angereichert selbst entgeltlich veröffentlichte.
In Europa sah man das Fehlen eines Schutzes für denjenigen, der aufwändig Daten zusammenträgt, als wesentliches Investitionshindernis für Unternehmen, deren Geschäftsmodell gerade auf einer solchen Sammlung von Informationen aufbaut. Dem wollte man mit dem sui-generis-Recht der Datenbankrichtlinie 96/9 EG entgegentreten. Praktisch endet allerdings die Durchsetzungsmöglichkeit der EU an den Staatsgrenzen – die Verbote der Richtlinie können daher auch nur für Handlungen in den EU-Mitgliedstaaten durchgesetzt werden. Wer daher in den USA oder in Japan wesentliche Inhalte aus einer in der EU geschützten Datenbank entnimmt, kann dafür in der EU nicht belangt werden.
Vor diesem Hintergrund versuchte man im Rahmen einer Sondersitzung der WIPO Ende 1996 (wie im Bereich der Computerprogramme und der Datenbankschemata) einen der EU-Richtlinie vergleichbaren weltweiten Schutz im Rahmen eines multilateralen Abkommens u. a. mit den USA zu vereinbaren. Praktisch scheiterte dieses Vorhaben jedoch, weil die anderen Staaten wegen der möglichen wettbewerbsbeschränkenden Wirkung eines Schutzrechts besorgt waren und dessen Anreizwirkung bezweifelten.
Um gerade die europäische Datenbankindustrie zu fördern, hat die EU den Schutz daran angeknüpft, dass der Datenbankhersteller seinen Sitz im Europäischen Wirtschaftsraum hat (§ 127a UrhG). Personen bzw. Unternehmen aus Drittstaaten (etwa den USA, Japan oder auch der Schweiz) könnten einen Schutz nur über Staatsverträge der EU mit ihrem jeweiligen Heimatstaat erhalten. Derartige Staatsverträge wurden aber bis heute nicht geschlossen. Somit steht auch heute etwa Meta, Alphabet oder Amazon kein Datenbankherstellerrecht in der EU zu, da diese Unternehmen ihren Sitz in den USA haben. Die viel diskutierte „Datenmacht“ beschränkt sich insoweit auf eine rein faktische Zugangsverhinderung und den daran anknüpfenden und Umgehungen verhindernden Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Zwar können Nutzungsregelungen vertraglich vereinbart werden – diese wirken aber wie oben dargestellt nur unter den Beteiligten der konkreten Vereinbarung und nicht gegenüber Dritten.
3.2 „Datenbank“ als Schutzgegenstand
Eine „Datenbank“ im rechtlichen Sinne setzt voraus, dass die einzelnen Datensätze irgendwie systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln zugänglich sind. Das ist freilich bei digitalen Daten kaum zu vermeiden – selbst bei einer linearen Verkettung reiner Blobs ist jedes (ggf. sehr umfangreiche) Einzelelement als solches abrufbar und eine systematische (nämlich nach Zeilennummer oder Record ID indizierte) Anordnung gewährleistet. Eine sinnvolle Sortierung wird ebenso wenig vorausgesetzt wie eine vernünftige Aufteilung der Daten.
Einig ist man sich in der Rechtswissenschaft insoweit allein, dass Datensammlungen, bei deren Anordnung der Zufall eine Rolle spielt (so dass ein Datensatz nicht eindeutig referenziert werden kann, weil das Ziel des Verweises sich bei künftigen Abrufen verändern würde), nicht geschützt werden sollen. Andererseits soll aber der in der rechtswissenschaftlichen Literatur als nicht geschützt erachtete „ungeordnete Datenhaufen“ schon dann als strukturierte Datenbank gelten, wenn im Datenbankmanagementsystem die Möglichkeit einer Volltextsuche besteht. Gerade in Zeiten von Big Data Anwendungen ist mit einem so weitgehenden Verständnis von systematischer Anordnung praktisch kaum eine Einschränkung verbunden.
Nur als Kuriosum angemerkt sei, dass der Schutz von Datenbanken (wie das den Anlass für die Richtlinie bildende Telefonbuchbeispiel zeigt) sich nicht auf digitale Datenbanken beschränkt – erfasst wäre auch ein reiner Papier-Zettelkasten.
3.3 Motivationsgrundlage „Investitionsschutz“
Die DatenbankRL 96/6/EG formuliert, dass es um „den Schutz einer Investition in die Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung des Inhalts einer Datenbank“ gehen soll. Zudem wird betont, dass diese Investition „in der Bereitstellung von finanziellen Mitteln und/oder im Einsatz von Zeit, Arbeit und Energie bestehen“ kann. Wann eine solche Investition „wesentlich“ ist, lässt die Richtlinie jedoch offen – klargestellt wird allein, dass die bloße Zusammenstellung mehrerer Aufzeichnungen musikalischer Darbietungen auf einer CD dafür nicht genügt.
Der deutsche Bundesgerichtshof entschied jedenfalls bereits 1999, dass eine wesentliche Investition im Sinne der DatenbankRL 96/6/EG selbstverständlich beim deutschen Telefonbuch (egal ob auf Papier oder auf CD-ROM) vorliegt und dieses damit den 15-jährigen Schutz genießt. Klar ist damit eigentlich nur, dass Minimalinvestitionen (etwa zufällig generierte Testdatensätze, auch wenn diese einen großen Umfang erreichen) keinen Schutz erhalten; wo aber die Untergrenze liegt, ist völlig offen.
Von Anfang an war klar, dass eine eindeutige Zuordnung von Rechten an Datenbankinstanzen mit Ausschlussbefugnis zu Lasten Dritter für den Wettbewerb gefährlich sein kann. Der EuGH hat daher im November 2004 am selben Tag in zwei Fällen entschieden, dass bei den Spielplänen einer Fußballliga und einer Liste der Teilnehmer an Pferderennen keine Investition im Sinne des Datenbankherstellerrechts vorliegt. Denn die Investition muss sich auf die Beschaffung (obtain) der Inhalte, deren Überprüfung oder die Darstellung beziehen. All diese Schritte waren aber bei den beiden Fällen nicht der maßgebliche Kostenfaktor – vielmehr lag der Personal- und Sachaufwand in der Generierung (create) der Daten.
In Anwendung dieser Unterscheidung zwischen obtain und create entschied der deutsche Bundesgerichtshof Anfang 2010, dass die zur Erfassung der LKW-Maut erforderliche Errichtung von Terminals und die Anschaffung mobiler Fahrzeuggeräte selbstverständlich eine relevante Investition in die Beschaffung (obtain) der späteren Datenbankinhalte darstellt: Die von den Geräten gemessenen Informationen würden nämlich (anders als die Teilnehmenden an einem konkreten Fußballmatch oder an einem Pferderennen) bereits bestehen und müssten nur gesammelt werden (demgegenüber wird die konkret zu entrichtende Maut als Ergebnis dieser Daten selbst erzeugt und ist daher nicht erfasst).
Dies zeigt das grundlegende Problem – sobald irgendein externes Messinstrument (und sei es nur eine Benutzereingabe) genutzt wird, wären die Daten gesammelt und damit potentiell geschützt; nur wenn sie originär generiert werden, wäre der Schutz ausgeschlossen. Daten, die durch Crawling oder Scraping gewonnen werden, würden damit aber ebenso geschützt wie Daten, die nutzergeneriert eingespeist werden (da auch diese nur gesammelt werden). Der EU-Entwurf für einen Data Act soll daher künftig das Datenbankherstellerrecht für „Datenbanken, die Daten enthalten, die bei der Nutzung eines Produkts oder verbundenen Dienstes erlangt oder erzeugt wurden“ (gemeint: Smart-Devices, deren Hauptfunktion nicht die Speicherung und Verarbeitung von Daten ist) ausschließen.
3.4 Gut gemeint, schlecht gemacht?
Verallgemeinert kann man feststellen, dass die Speicherung von Daten aus sensorenbasierten Anwendungen als Beschaffung (obtain) vom Datenbankherstellerrecht erfasst ist, während aufwändige Berechnungen ohne externen Einfluss zur Erstellung der Daten als Generierungsaufwand (create) nicht als wesentliche Investition berücksichtigt werden können.
Eine saubere Abgrenzung gelingt damit aber (außerhalb der geschilderten Spielpläne für Fußball und Pferderennen) nicht – die meisten Datenbanken enthalten zumindest Timestamps und Berechnungen, die bereits anderweitig vorhandene Daten „weiterverarbeiten“. Sollte jedoch bereits die Anreicherung, Konsolidierung, Gruppierung, Filterung, etc. genügen, um in den Bereich der Beschaffung (obtain) zu gelangen, bliebe von der gewünschten Beschränkung wenig übrig. Würde man hingegen genau umgekehrt alles außer Sensordaten vom Schutz ausschließen, wäre das Ergebnis gerade im Bereich der KI höchst unbefriedigend und mit dem Schutzzweck der Richtlinie kaum zu vereinbaren.
Insgesamt scheint das Datenbankherstellerrecht damit gut gemeint, aber schlecht gemacht zu sein: Die Vision eines Investitionsschutzes scheint durchaus attraktiv für Unternehmen; der rechtliche Schutz erlaubt es, Dritten ohne komplexe vertragliche Konstrukte und technische Schutzmaßnahmen Zugriff auf Datenbanken zu gewähren, da man notfalls auf den gesetzlich (ohnehin für jedermann) gewährten Schutz zurückfällt. Praktisch ist aber wegen der Unbestimmtheit der Wesentlichkeit der Investition und vor allem der unscharfen Differenzierung zwischen Erstellung (create) und Beschaffung (obtain) von Daten schon ungeklärt, ab wann der Schutz eingreift (und was rechtlich gar nicht geschützt ist).
Noch problematischer ist, dass der Schutz nur für Daten eingreift, deren Hersteller im EWR ist (was man einer Datenbankinstanz von außen nicht ansieht) und nur Handlungen im EWR (etwa Erstellung einer Kopie durch eine Forschungsgruppe in Deutschland) verbietet. Ist daher entweder der Datenbankhersteller in den USA (etwa eine Forschungsgruppe am MIT) oder erfolgt die Nutzung außerhalb der EU (etwa Kopie durch eine Forschungsgruppe in Korea), hilft das Datenbankherstellerrecht nicht weiter.
4 Konsequenzen für die Forschungspraxis
Das Forschungsdatenmanagement erfährt in der Informatik derzeit eine spürbare Professionalisierung, zu beobachten an den großen Bemühungen hin zu Artifact Availability, d. h. der Verfügbarmachung von Daten und Code, bis hin zum Anspruch der Reproduzierbarkeit durch Dritte. Auch in den Beiträgen im Datenbankspektrum schlägt sich das nieder. Die DFG formuliert ebenso Erwartungen zum Umgang mit Forschungsdaten.
Trotz der Unsicherheiten und zunehmenden Beschränkungen ist sowohl bei der Nutzung, Aufbereitung und Verarbeitung größerer Datenmengen als auch bei der Bereitstellung bzw. individueller Weitergabe ganzer Datenbankinstanzen der Blick auf das Datenbankherstellerrecht unverzichtbar: Wer in der EU Daten anderer Anbieter in der EU nutzen will, muss sich zwingend vorab über die Lizenzbedingungen informieren; andererseits kann jeder ungefragten Nutzung in der EU ein eigenes Datenbankherstellerrecht entgegengehalten werden.
4.1 Bedeutung von Nutzungsvereinbarungen
Der hier diskutierte Schutz einer Datenbankinstanz hat mitunter unerwartete Folgen in der Forschungspraxis: Ohne rechtlichen Schutz (bei Daten, die in einem Nicht-EU-Staat zusammengestellt wurden, d. h. insbesondere in den USA) kann eine Weiterverwendung nur aktiv durch Lizenzverträge im Vorfeld beschränkt werden. Wurde dies vergessen, kann der ursprüngliche Datenbankhersteller nichts mehr tun – die Daten gehören (soweit nicht die einzelne Information oder die Auswahl bzw. Struktur eine eigene geistige Schöpfung darstellt) niemandem. Ohne entgegenstehende vertragliche Absprache darf sie daher jeder frei nutzen.
In der EU ist die Lage hingegen genau umgekehrt: Wer schweigt, behält seine Datenbankherstellerrechte. Es bedarf weder eines technischen Schutzes noch einer vorherigen vertraglichen Vereinbarung. Wer daher in der EU scheinbar offen zugängliche Daten aus der EU ohne vertragliche Vereinbarung nutzt, riskiert die Verletzung des Datenbankherstellerrechts.
In der EU schützen Nutzungsvereinbarungen daher die Nutzenden (indem sie ihnen Rechte einräumen), im Ausland hingegen die Datenbankhersteller (die erst dadurch eine Verbotsmöglichkeit erhalten). Vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung entsprechender Vereinbarungen im europäischen Raum von viel größerer Relevanz – denn ohne eine solche Grundlage ist jede Weiterverarbeitung mit dem Risiko von Schadensersatzansprüchen behaftet.
Praktisch bedeutet dies, dass eine Lizenz gewählt werden muss, die das Datenbankherstellerrecht überhaupt erfasst – was erst bei den Creative Commons Lizenzen ab Version 4 der Fall ist. Wer seine Daten ohne jegliche Beschränkung freigeben will, kann insoweit auf die CC0-Lizenz zurückgreifen; ansonsten erfassen etwa die CC-BY-SA 4.0 (Weiterverwendung und Lizenzierung derivativer Datenbanken unter denselben Bedingungen) oder CC-BY-SA-NC 4.0-Lizenz (ausschließlich nicht-kommerzielle Weiterverwendung) die typischen Konstellationen. Da allerdings derjenige, welcher die Investition getätigt hat (und nicht der Forschende), als Datenbankhersteller gilt, muss diese Entscheidung der Träger der Forschungseinrichtung bzw. der Drittmittelgeber treffen. Zu berücksichtigen ist auch Art. 1 Abs. 6 iVm Art. 10 Abs. 1 RL 2019/1024, wonach das Datenbankherstellerrecht nur genutzt werden darf, um in der Richtlinie anerkannte Beschränkungen (etwa Schutz geistigen Eigentums, von personenbezogenen Daten, Vertraulichkeit, Sicherheit und sogar legitime Geschäftsinteressen) durchzusetzen. Praktisch betrifft diese Einschränkung des Datenbankherstellerrechts jedoch ausschließlich staatliche Forschungseinrichtungen und Forschungsförderungseinrichtungen und betrifft zudem nur Daten, die bereits über ein institutionelles oder thematisches Archiv öffentlich zugänglich gemacht wurden.
4.2 Offene Fragestellungen
Das Datenbankherstellerrecht wurde bereits vor Jahrzehnten eingeführt. Dennoch wirft es eine Vielzahl sehr akuter Fragestellungen für die gemeinsame Forschung im Bereich Datenmanagement und Rechtsinformatik auf, geschuldet dem zunehmende Bewusstsein der Bedeutung gemeinsamer Datennutzung und Datenveröffentlichung.
4.2.1 Investition
Zuvorderst geht es darum, worauf sich die ursprüngliche „Investition“ bezieht. Durch die Unterscheidung zwischen irrelevantem Erstellungs- (create) und relevantem Beschaffungsaufwand (obtain) hat der EuGH hier schon im ersten Schritt Verwirrung gestiftet – insbesondere bei der Frage, ob Messdaten denn „beschafft“ (und damit geschützt) oder „erstellt“ (und damit nicht erfasst) werden. Auch liefert diese Unterscheidung vielfach keine saubere Antwort – etwa bei Metadatenbanken, die mehrere Datenbanken verknüpfen. Gerade bei der Generierung neuronaler Netzwerke stellt sich die Frage, ob dabei neue Daten „erstellt“ oder letztlich nur „beschafft“ werden – denn auch diese werden nicht per Zufall aus dem Nichts geschaffen, sondern basieren auf der Verarbeitung bestehender Informationen.
Wenn die Datenmenge so groß ist, dass die Überprüfung oder Darstellung ihrerseits eine wesentliche Investition erfordern, wird die Datenbank selbst dann geschützt, wenn die verarbeiteten Daten erstellt und nicht beschafft wurden. Dabei muss es keinen besonderen Anlass für diesen Aufwand gegeben haben; der Wert der verarbeiteten Daten spielt für die Gewährung des Schutzes ebenso wenig eine Rolle wie das langfristig verfolgte Geschäftsmodell.
4.2.2 Wesentliche Investition
Selbst wenn man diese Frage geklärt hat, stellt sich die Folgefrage, wann eine Investition wesentlich ist. Unproblematisch ist dabei sicherlich Personalaufwand – denn menschliche Zeit ist knapp und wertvoll. Im Hinblick auf bloßen Sachaufwand ist es hingegen angesichts sinkender Kosten für Speicherplatz und Rechenkapazität in Bezug auf den 15-jährigen Schutzzeitraum fraglich, was der passende Maßstab ist. Zudem stellt sich die Frage, ob hier Maßstab der tatsächliche, ggf. (durch fehlende oder unzureichende Optimierung) unnötig hohe Aufwand oder ein fiktiver, optimaler Aufwand sein sollte. Im erstgenannten Fall würde derjenige, der mit größtmöglichem Personalaufwand in ein Projekt einsteigt gegenüber demjenigen, der eine schlanke und teilautomatisierte Umsetzung wählt, begünstigt.
Wie man Projekte effizient realisieren könnte, weiß man freilich vielfach erst im Nachhinein. Letztlich wird man hier etablierte Best Practices im Datenmanagement heranziehen müssen.
4.2.3 Rechtsinhaber
Selbst wenn man den Schutz bejaht, stößt man auf Folgeprobleme – denn das Recht steht demjenigen zu, der den Aufwand getragen hat. Das mag ein Staat, eine Universität, eine Drittmittelinstitution, etc. sein – aber es sind meist nicht einzelne Forschende. Es geht eben nicht um den kreativen Gehalt, sondern schlicht um die Finanzierung des Projekts. Das kann aber bei der Lizenzierung durchaus problematisch sein, weil regelmäßig Daten mit Projekten (etwa Publikationen) zusammenhängen, deren Rechte wiederum einzelnen Menschen als Urheber zustehen. Gerade bei Forschungsdaten ist das Konfliktfeld (etwa bei einem Wechsel an eine andere Hochschule oder in die Wirtschaft) vorgezeichnet: Während die Datenbank demjenigen zusteht, der die Investitionskosten getragen hat, können an der Darstellung, zugrundeliegenden Anwendungen (vom Datenbankmanagementsystem bis zu den Stored Procedures), der Benutzerschnittstelle sowie am Datenbankschema Urheberrechte der jeweiligen Entwickler bestehen. Für eine Nutzung der Datenbank ist das Einverständnis all dieser potentiell Berechtigten erforderlich.
Bei einem Wechsel an eine andere Hochschule oder in die Wirtschaft verbleibt nach deutschem Recht das Datenbankherstellerrecht bei der bisherigen Forschungseinrichtung (bzw. dem Unternehmen oder der Fördereinrichtung, welche die Investition getätigt hat). Das Urheberrecht an Benutzeroberflächen, Computerprogrammen (DBMS, Stored Procedures, etc.) oder der Struktur verbleibt hingegen aufgrund der Wissenschaftsfreiheit (§ 43 HRG und Art. 5 Abs. 3 GG) zumindest dann bei den einzelnen Forschenden, wenn es sich um Professorinnen oder Professoren handelt, welche ihrer bisherigen Hochschule nur ein einfaches (nicht ausschließliches, d. h. parallel zu der eigenen Nutzung oder der Verwertung gegenüber Dritten bestehendes) Nutzungsrecht einräumen müssen. Vor diesem Hintergrund sind Regelungen für eine Weiternutzung bei Wechsel des Tätigkeitsorts von Anfang an in der Lizenz vorzusehen (und zwar auch vor deren Veröffentlichung).
4.2.4 Zusammenwirken der Schutzberechtigten
Zudem ist das Zusammenwirken der verschiedenen Schutzberechtigten (an Benutzeroberfläche, Software, Datenbankschema und -instanz) bei der Verwertung durchaus komplex: Ohne Abfragemechanismus, Benutzeroberfläche und Datenbankschema kann der Inhalt nicht verwertet werden. Da die einzelnen Elemente regelmäßig nicht separat verwertet werden können, liegt ein Fall der Miturheberschaft vor (§ 8 Abs. 1 UrhG), bei dem Veröffentlichung, Verwertung und Bearbeitung stets eine einstimmige Entscheidung voraussetzen. Vertragliche Vereinbarungen, welche hier die Abwicklung erheblich erleichtern würden, fehlen mangels Problembewusstseins vielfach.
Praktisch sollte gerade dieser Punkt möglichst frühzeitig geklärt werden. Durch parallele Nutzungsbedingungen für alle Teilelemente (etwa indem alles unter einer CC-BY-SA 4.0-Lizenz bzw. eine CC-BY-SA-NC 4.0-Lizenz gestellt wird) können Konflikte von Anfang an ausgeschlossen werden. Abweichende Lizenzen oder deren Fehlen führen hier zu unnötiger Verwirrung.
4.2.5 Befugnisse der Rechtsinhaber
Auch die konkreten Befugnisse, die dem Inhaber des Datenbankherstellerrechts vorbehalten sind, sind keinesfalls klar konturiert. Verboten ist gerade nicht der Abruf einzelner Datensätze, sondern nur die vollständige Übernahme der gesamten Datenbank oder wesentlicher Teile. Aber was ist ein wesentlicher Teil? Wie bei der Investition des Datenbankherstellers muss man sich hier fragen, inwieweit quantitative Kriterien geeignet sind: Geht es um relative Anteile am Gesamtumfang oder um eine absolute Datenmenge bzw. Anzahl an einzelnen Datensätzen? Beides kann zu ungerechten Ergebnissen führen – soll etwa derjenige belohnt werden, der viele redundante Daten speichert?
Aber auch qualitative Kriterien führen in der Regel nicht weiter, da es insoweit letztlich individuell auf den Bedarf des jeweiligen Nutzers (oder des Datenbankherstellers) ankäme: Wer den Wert einer bestimmten Immobilie bestimmen will, benötigt nicht die Vergleichsdaten von ganz Deutschland, sondern die unmittelbare Umgebung. Ist dann aber etwa schon die konkrete Straße aus einem Bodenrichtwertatlas des gesamten Bundeslandes ein wesentlicher Teil? Gerade im Bereich des Scraping und Crawling (insbesondere bei datenbankbasierten Internetseiten) stellt sich die Frage, wann die Grenze überschritten ist. Letztlich wird man hier – im Übrigen schon aus wissenschaftsethischer Sicht – vorsorglich immer alle Lizenzen beachten, selbst wenn fraglich ist, ob überhaupt eine relevante Nutzung vorliegt.
4.2.6 Nur eingeschränktes Forschungsprivileg
Seit 2019 ist europaweit zwingend die Vervielfältigung eines nach Art oder Umfang wesentlichen Teils einer Datenbank zu Zwecken der nicht kommerziellen wissenschaftlichen Forschung erlaubt. Allerdings sind die (regelmäßig unverzichtbare) Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung dieser Kopie ebensowenig zulässig wie eine vollständige Kopie. Zudem existiert für Computerprogramme (neben dem DBMS etwa auch die Stored Procedures) keine vergleichbare Ausnahme, so dass die Ausnahme keineswegs die gesamte Datenbank umfasst. Nicht von der Ausnahme erfasst (und damit generell verboten) ist zudem etwa die Drittmittelforschung für private Unternehmen an staatlichen Hochschulen. Schließlich ist der Begriff der „wissenschaftlichen Forschung“ ebenso schwer abzugrenzen wie die „nicht kommerzielle“ Natur der Tätigkeit. Die Ausnahme schafft damit jedenfalls aktuell keine wirkliche Rechtssicherheit für die Forschenden. Die Hoffnung, das Thema schlicht ignorieren zu können, geht also auch heute noch fehl – jede Datenbanknutzung ohne sichere Kenntnis der Lizenzgrundlage ist mit Risiken verbunden. Glücklich kann man sich daher nur schätzen, wenn es klare Nutzungsbedingungen gibt, die zunehmend durch klare Kennzeichnung (etwa mit CC0 4.0, CC-BY-SA 4.0 oder CC-BY-SA-NC 4.0) gegeben ist. Insoweit sollte man auch hier mit gutem Vorbild vorangehen und die eigenen Beiträge entsprechend kennzeichnen.
5 Ausblick
Eingebettet in die internationale Datenbankforschungsgemeinde setzen sich auch Leser- und Autorenschaft des Datenbankspektrums akut mit dem professionellen Umgang mit Forschungsdaten und -artefakten auseinander. Die Bedeutung des Datenbankherstellerrechts erfährt damit unweigerlich eine Renaissance, gerade für Forschende in Europa.
Mit unserem Übersichtsartikel wollen wir in der Datenbankforschungsgemeinde ein Bewusstsein für den rechtlichen Schutz der einzelnen Komponenten einer Datenbankanwendung zu schaffen und – im Idealfall – interdisziplinäre Diskussionen mit den Forschenden in den Rechtswissenschaften generieren.
Das gemeinsame Ziel muss es sein, vorhersehbare und nachvollziehbare Lösungen zu finden, welche das Verarbeiten, Teilen und Weiternutzen von Forschungsdaten ermöglichen und idealerweise erleichtern.
Zur einfacheren Lesbarkeit wurden die Quell- und Literaturverweise entfernt.
Beurskens, M., Scherzinger, S. Datenbankherstellerrecht und Datenbankforschung. Datenbank Spektrum 23, 143–152 (2023)